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Image by Katerina Kerdi

So wie du warst

Trauerredner | Grabredner | Freier Redner
In Berlin und Brandenburg

Was vom Leben bleibt

Als Trauerredner in Berlin & Brandenburg habe ich die Erfahrung gemacht, dass es nicht immer die vordergründig wichtigen Meilensteine sein müssen, um das Leben eines Menschen angemessen Revue passieren zu lassen. Vielen Angehörigen fällt es ohnehin schwer, in dem Zeitraum kurz nach dem Tod eines geliebten Menschen die "richtigen Worte" zu finden. Oft höre ich dann Sätze wie "Ich weiß gar nicht so recht, was ich erzählen soll". Wir fangen dann meist mit den Todesumständen an und daraus ergeben sich oft kleine Fäden des Lebens, die von den Hinterbliebenen aufgenommen werden. Natürlich frage ich auch nach wichtigen Etappen eines Lebens, etwa wann und wo sich die Eltern kennen gelernt haben oder in welchem Betrieb der Opa den Großteil seines Lebens seiner Arbeit nachging. Aber wenn ich merke, dass da gerade etwas im Kopf der erzählenden Person in Gang gesetzt wurde, lasse ich das laufen. Dieses Sich-erinnern und darüber sprechen kann sehr kraftvoll sein. Oftmals treten Erinnerungen zu Tage, die seit langer Zeit versteckt waren. Das können Kleinigkeiten sein. Mit großer Wirkung. Die schmutzigen Hände der Mutter nach der getanen Gartenarbeit und der damit verbundene, erdige Geruch. Der Wirsingeintopf, der immer Mittwochs auf den Tisch kam und den die Enkelkinder nur mit viel Willenskraft und Durchhaltevermögen essen konnten, während die Oma predigte, wie gesund das sei. Oder wie der Papa trotz 12 Stunden Schichten im Werk nach Feierabend immer für die Tochter da war, wenn diese Fahrrad fahren wollte, aber noch Probleme mit dem Gleichgewicht hatte. Wenn sich diese Erinnerungen anfangen zu formieren und das Gesagte erst langsam, dann sprudelnd, mitunter durcheinander aus den Mündern der Anwesenden purzelt, beobachte ich oft eine Art Leuchten in den Gesichtern. In den meisten Fällen wird die Gesamtheit eines Lebens zum ersten und womöglich letzten Mal erfasst und nicht wenige stellen dabei fest, wie erfüllt dieses Leben doch war. Manches davon ist witzig, manches überraschend. Manche Erinnerungen schmerzen und andere zeigen uns die Widersprüche, die vielen von uns eigen sind. Allen gemein ist folgendes: erst durch den Tod und der damit verbundenen Klarheit, die die Stille mit sich bringt, erinnern wir uns an die Besonderheiten des verstorbenen Menschen. Nicht die großen Lebensereignisse, sondern die kleinen Details, die ein Leben ausgemacht haben. Wie Sonnenstrahlen, die im richtigen Winkel auch die hinterletzte Ecke erreichen. Dort lohnt es sich nachzuschauen. Weil wir vor allem in unserer Alltäglichkeit leuchten. 

"Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man nicht durch den Tod verlieren." - Johann Wolfgang von Goethe

Trauer ist nie gleich Trauer

Es ist sicher nicht vermessen zu behaupten, dass Trauer sich nicht gut anfühlt. Im Gegenteil. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Überforderung, Wut, Reue - die Liste lässt sich nahezu endlos um schwere, teilweise lebensprägende Empfindungen erweitern. Und doch geht es jedem von uns anders, wenn wir (das erste Mal) mit dem Tod konfrontiert werden. Als mein Opa starb, war ich 27. Ich war gerade Vater geworden, hatte viel von der Welt gesehen und einen sicheren Job. Ich dachte, ich wäre gefestigt und das mich so schnell nichts aus der Bahn werfen könnte. Dann kam der Anruf. Mein Opa lag im Sterben. Wir wussten um seine Krankheit, aber dann ging doch alles ganz schnell. Als ich aus der Großstadt kommend auf der Palliativstation eintraf, war es leider schon zu spät, um sich zu verabschieden. Meine Oma saß zusammen gesunken am Sterbebett und hielt seine Hand. Ich hielt die Stille kaum aus. Sie war ohrenbetäubend. Ich verließ das Zimmer so schnell ich es betreten hatte. Meine Oma jedoch verbrachte Stunden neben ihm. Wahrscheinlich wollte sie mehr als 50 Jahre Ehe so lange festhalten, wie möglich, bevor er aus ihrem Leben verschwand. 

An diesem Tag begann ich zu verstehen, dass der Tod und der Umgang damit eine sehr persönliche und individuelle Angelegenheit ist. Während ich mir Sorgen darüber machte, ob und wie meine Oma damit zurechtkommen würde, entwickelte sie aus der Trauer heraus eine unwirkliche Stärke. Natürlich traf sie der Schicksalsschlag schwer und wir weinten viele Tränen zusammen. Aber wo ich wie betäubt und orientierungslos durch Zeit und Raum trudelte, fand sie eine Kraft, die sie bis heute in ihrem Herzen trägt. Ihre Herkunft, ihre Erfahrungen, ihre Werte, Freunde und Familie - all das half ihr, den Tod ihres Mannes erträglich zu machen. Ich, der ich dachte so stark zu sein, konnte mir davon eine Menge abschauen.

Was ich damit sagen möchte: Trauer ist keine zeitlich begrenzte Variable, die für jeden von uns gleich viel wiegt. Es gibt keine Faustregel oder Weisheiten, die den Schmerz der Trauer verständlicher und greifbarer machen. Aber wir können durch den Tod eine Menge lernen. Über die verstorbene Person. Über die Angehörigen. Über uns. Und über das Leben.

"Ein einziger Mensch fehlt - und die ganze Welt ist leer."

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